Klassiker der Klassik
Sergej Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 3
„Rach 3“ wird es in Kennerkreisen nur genannt – das klingt schroff, ein bisschen furchteinflößend und irgendwie nach Überschallgeschwindigkeit. Assoziationen, die nicht umsonst geweckt werden, denn Sergej Rachmaninows 3. Klavierkonzert ist eigentlich eine ständige Überforderung: Es ist extrem virtuos und wohl tatsächlich das Klavierkonzert mit den meisten Tönen pro Zeit, es ist überaus leidenschaftlich und zwischendurch so schön, dass es nur knapp an der Kitschgrenze vorbeischlittert. Doch der russische Komponist entwickelte es auf geniale Weise, lässt Orchester und Solostimme so raffiniert ineinandergreifen und sich quasi improvisatorisch entfalten, dass die 45 Minuten des Werks wie im Fluge vergehen. Apropos Flug: Die Uraufführung in New York musste der Komponist 1909 übrigens bewältigen, nachdem er die gesamte Atlantiküberfahrt auf dem Schiff nur mit einer stummen Partitur üben konnte…
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5
„Meine 5. Sinfonie ist ein verfluchtes Werk. Niemand kapiert sie.“, notierte Mahler frustriert nach der Uraufführung in Hamburg 1905. Dass sie heute zu seinen beliebtesten und auch berühmtesten Werken zählt – nicht zuletzt durch den symbolträchtigen Einsatz des „Adagiettos“ in Viscontis Verfilmung von Tod in Venedig –, hätte er sich vermutlich niemals träumen lassen. Dabei hat sie wirklich alles zu bieten, was man sich in einer großen Sinfonie wünscht: Klangfülle, Leidenschaft und starke Kontraste. Von allen Orchestermusiker: innen wird höchste Virtuosität in jeder einzelnen Stimme verlangt – nicht nur von der ersten Trompete, die die Sinfonie mit einer Schicksalsfanfare eröffnen darf: halb Militärmarsch, halb Abgesang. Alles bleibt zweideutig.
Maurica Ravel: La Valse
Walzerselig? Wohl eher „walzersüchtig“ mit dramatischen Folgen: Ravels ursprünglich als Auftragswerk für die in Paris ansässige Tanzkompagnie „Ballets Russes“ entstandene Komposition war als Hommage an den Wiener Walzer geplant, geriet dann aber unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs zu einem doppelbödigen Tanzporträt. In den impressionistischen Tanztaumel mischen sich Marschmotive und Kanonenschläge, die zunächst selige Drehbewegung entwickelt sich zu einem Wirbel, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Am Ende bleibt nur die völlige Eskalation – im Klangfarbenrausch à la Ravel. Ein Sterben in Schönheit.
Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8
„Ein von meinen anderen Symphonien verschiedenes Werk zu schreiben, mit individuellen, in neuer Weise ausgearbeiteten Gedanken“ war die Intention Antonín Dvořáks, als er sich an die Komposition seiner achten Sinfonie setzte. Und wahrlich: diese Sinfonie ist anders. Sie ist lyrisch, gelöst, beinahe fröhlich – und sie ist eine Vorbotin der Sinfonie „Aus der neuen Welt“, die Dvořák nur kurze Zeit später komponieren wird. Volltönend, romantisch, mitreißend, zum Schwelgen einladend ist die Achte ein viersätziges Meisterwerk, bei dessen Komposition Dvořák sich von der tschechischen Landschaft rund um seinen Landsitz inspirieren ließ.
Johannes Brahms: Die Sinfonien
Die Sinfonie nach Beethoven – für Brahms ein geradezu unmögliches Unterfangen. Die Gattung neu zu erfinden, das war sein großes Ziel. Damit setzte er sich selbst so sehr unter Druck, dass er seine erste Sinfonie erst im Alter von 43 Jahren zur Uraufführung bringen konnte. Doch dann war der Sinfonien-Knoten geplatzt: Innerhalb eines Jahres stellt Brahms seine zweite Sinfonie fertig. „Die zweite Symphonie scheint wie die Sonne erwärmend auf Kenner und Laien, sie gehört allen, die sich nach guter Musik sehnen.“ Welch hohes Lob aus der Feder des beinahe gefürchteten Wiener Musikkritikers Eduard Hanslick! Und auch die Sinfonie Nr. 3 findet Bewunderung: „Welch ein Werk, welche Poesie, die harmonischste Stimmung durch das Ganze, alle Sätze wie aus einem Gusse, ein Herzschlag, jeder Satz ein Juwel!“ schreibt eine verzückte Clara Schumann in einem ihrer vielen Briefe an Brahms. Obwohl die beiden eine innige Freundschaft verbindet, äußert sich Clara zu einigen Kompositionen Brahms’ auch kritisch – wie beispielsweise gegenüber seiner vierten und letzten Sinfonie. Und auch Eduard Hanslick war beim ersten Hören alles andere als begeistert. Bei der Wiener Erstaufführung dichteten die Orchestermusiker auf die ersten Takte gar den Text: „Es fiel ihm wieder mal nichts ein.“ Nur Joseph Joachim lobte den „geradezu packenden Zug des Ganzen, die Dichtigkeit der Erfindung, das wunderbar verschlungene Wachstum der Motive“ sowie den „Reichtum und die Schönheit einzelner Stellen“ und erkannte vor vielen anderen das Potenzial und die Einzigartigkeit dieser Sinfonie, deren Beliebtheit bis heute ungebrochen ist.
Alle Brahms’schen Sinfonien gehören zu den Werken, die man einmal im Konzertsaal gehört haben muss! Nachdem in der vergangenen Saison bereits die erste Sinfonie bei uns auf dem Programm stand, folgen in dieser Saison nun die Sinfonien Nr. 2, 3 und 4.
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73
Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90
Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98
Edvard Grieg: Klavierkonzert
Es beginnt mit einem Paukenwirbel und dem unmittelbaren Einsatz des Klaviers, das sich waghalsig in die Tiefe stürzt und die Zuhörer:innen direkt in den Strudel zieht. Edvard Griegs Klavierkonzert ist eines der beliebtesten seiner Gattung. Inspiriert von Schumanns Klavierkonzert emanzipiert Grieg sich von traditionellen Formen, verbindet norwegische Volksmusik mit Kunstmusik (oder, wie er selbst einmal sagte, „Schwarzbrot“ mit „Austern und Kaviar“) und findet Mittel und Wege, norwegische Landschaften vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. Der nordisch-tänzerische Tonfall berührt, die klangvollen Melodien reißen mit und der hochvirtuose Klavierpart verlangt vom Solisten absolute Präzision.
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4
Beethoven der Dramatische? Der Wütende? Der Geniale? Es ist wohl vor allem eine Fähigkeit, die ihn zu einem der größten Komponisten macht: Die Kunst, immer wieder aufs Neue zu überraschen. Beethoven ist an Originalität kaum zu überbieten – sein 4. Klavierkonzert zum Beispiel verzaubert mit einem außergewöhnlichen Einstieg, den das Klavier ganz allein, ganz zart in den Raum stellen darf. Daraus entwickelt sich ein feinsinniger Dialog, in dem Orchester und Soloinstrument absolut auf Augenhöhe agieren. Eine virtuose Solistenshow sieht anders aus. Die Dramatik des zweiten Satzes ließ manche ein geheimes Programm vermuten: Diente hier der Orpheus-Mythos als Inspirationsquelle? Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch einfach nur eines der schönsten und originellsten Klavierkonzerte, das ein so kreativer Geist wie Beethoven sich einfallen lassen konnte.
Jean Sibelius: Violinkonzert
Es ist das einzige Solokonzert aus der Feder dieses Komponisten. Es ist anders als alle anderen vorher. Und obwohl es bei der Uraufführung verhalten aufgenommen wurde, ist es heute eines der meistgespielten: das Violinkonzert von Jean Sibelius. Der Finne komponierte es in einer Zeit des Umbruchs. Dem Trubel und den Verführungen der Großstadt entflohen, zog Sibelius sich in seine Villa auf dem Land zurück, verbot sich (zumindest für eine Weile) Alkohol und Exzess, sinnierte, resümierte. Sein nicht in Erfüllung gegangener Traum, ein großer Violinvirtuose zu werden, scheint in diesem Konzert musikalisch verarbeitet. Es ist hochvirtuos, verlangt von Solist:in und Orchester Höchstleistungen und lädt zu einem Wechselbad der Gefühle ein. Gleichzeitig gibt die Vorliebe Sibelius’ für die tiefen Register Gelegenheit, sich dem großen sinfonischen Klang hinzugeben.